Kinderrechte ins Grundgesetz
Formulierungsvorschlag des Aktionsbündnisses Kinderrechte für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz
- Problem
- Lösung
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Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit.
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Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes. Sie unterstützt die Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag.
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Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen.
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Dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu.
- Begründung
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Das Aktionsbündnis Kinderrechte möchte mit dem neuen Artikel 2a GG klargestellt wissen, dass Kinder als Grundrechtsträger anerkannt und mit besonderen Rechten ausgestattet sind. Grundlage der vorgeschlagenen Formulierung sind die Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention (Schutz, Förderung, Beteiligung, Nichtdiskriminierung, Kindeswohlvorrang).
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Deutscher Bundestag und Deutscher Bundesrat haben die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 im Jahr 1992 ratifiziert und sich damit international zur Einhaltung dieser Rechte verpflichtet. Zudem ist Deutschland mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention die Verpflichtung eingegangen, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen (Art 4 der UN-Kinderrechtskonvention). Dazu gehört auch die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz als leitendes, über allen anderen deutschen Rechtsnormen stehendes Gesetz. Die UN-Kinderrechtskonvention allein hat in Deutschland noch keinen Verfassungsrang. Daher hat der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes bereits zwei Mal in seinen Abschließenden Beobachtungen (Concluding Observations) zum Ersten bzw. Zweiten Staatenbericht gemäß Artikel 44 der UN-Kinderrechtskonvention die Bundesregierung aufgefordert, die Aufnahme der Rechte des Kindes nach der UN-Kinderrechtskonvention in das Grundgesetz vorzunehmen.
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Auch der Deutsche Bundesrat hat die Bundesregierung mit Beschluss 386/11 vom 25. November 2011 aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, in dem Grundrechte der Kinder ausdrücklich normiert werden.
- Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist heute anerkannt, dass das Kind „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) ist“ (BVerfGE 24, 119 (144)).
Das Grundgesetz selbst allerdings bringt bis heute weder den in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Vorrang des Kindeswohls noch den grundlegenden Gedanken dieses völkerrechtlichen Abkommens zum Ausdruck – dass nämlich Kinder gleichberechtigte Mitglieder unserer Gemeinschaft sind, eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde und dem Anspruch auf Anerkennung ihrer Individualität.
Nicht nur durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sondern darüber hinaus durch den ausdrücklichen Text des Grundgesetzes soll klargestellt werden, dass „das Kind […]nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung“[2] ist, sondern ein „Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten“.[3] -
Über das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) hinaus brauchen Kinder besonderen Schutz und besondere Förderung (siehe Abs. 1 und 2 des Formulierungsvorschlags). Für das Aufwachsen, den Schutz und die Förderung der Kinder in unserer komplexen und modernen Gesellschaft tragen nicht nur die Eltern, sondern auch die staatliche Gemeinschaft Verantwortung.
Um diese besondere Situation klarzustellen ist nach Ansicht der Verfasser systematisch die Schaffung eines neuen Art. 2a GG notwendig. -
Der Formulierungsvorschlag lässt ausdrücklich die Rechte der Eltern nach Art. 6 Grundgesetz unangetastet. Die Rechte der Eltern sind auch ein wesentliches Element der UN-Kinderrechtskonvention (Artikel 5 UNKRK). Der vom Aktionsbündnis Kinderrechte vorgelegte Vorschlag beinhaltet zur Verbesserung der Rechtsposition sowohl der Kinder als auch der Eltern den Auftrag der staatlichen Gemeinschaft, die Eltern bei ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen (Abs. 2 des Formulierungsvorschlags). Die Unterstützung soll nicht erst erfolgen, wenn ansonsten ein Eingriff in die elterliche Sorge droht (§ 1666a BGB). Vielmehr soll die Unterstützung aller Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag eine generelle Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft sein. Durch die Unterstützung der Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag kann das Recht des Kindes auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit, das Recht auf Schutz und das Recht auf angemessene Beteiligung am besten mit dem Recht des Kindes auf seine Eltern und den Rechten der Eltern verbunden werden.
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Kinder haben das Recht, in Angelegenheiten die sie betreffen beteiligt zu werden. Ihre Meinung soll entsprechend ihrem Alter und ihrer Entwicklung in angemessener Weise berücksichtigt werden (siehe Abs. 3 des Formulierungsvorschlags). Die Beteiligung der Kinder ist nicht nur eine Verpflichtung der Eltern (siehe auch § 1626 Abs. 2 BGB), sondern auch der staatlichen Gemeinschaft. Der Staat hat die Meinung der Kinder in allen Angelegenheiten, die sie betreffen, zu hören und sie angemessen zu berücksichtigen (siehe auch Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention). Dies gilt nicht nur für Kinder, die der Staat in Obhut nimmt (§ 8 Abs. 1 SGB VIII und § 8a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, zuletzt geändert durch das Bundeskinderschutzgesetz vom 22.12.2011), sondern auch für alle Kinder im alltäglichen Handeln aller staatlichen Institutionen. Es muss immer wieder festgestellt werden, dass politische und verwaltungstechnische Verfahren, in denen Kinderinteressen betroffen sind, in den allermeisten Fällen die Belange von Kindern unberücksichtigt lassen.
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Wie in der UN-Kinderrechtskonvention in Art. 3 und 4 international vereinbart, soll die vorrangige Bedeutung des Kindeswohls bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, in nationalem Recht festgeschrieben werden (siehe Abs. 4 des Formulierungsvorschlags). „Die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls bedeutet, dass das Kindeswohl bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, nicht nur in die Entscheidung einbezogen werden muss; ihm muss vielmehr eine besonders herausgehobene Bedeutung zukommen. Diese soll zwar im Einzelfall durch kollidierende Belange von höherem Rang überwunden werden können, doch bedarf dieses Ergebnis stets besonderer und sorgfältiger Begründung.“[4]
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- Folgen
Was bringt die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz den Kindern?
- Vorrang des Kindeswohls
- Den Staat in die Pflicht nehmen
- Verfassungsbeschwerde möglich
- Schutz der Kinder verbessern
- Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sicherstellen
- Rechte und Pflichten der Eltern klären
- Signal für die gesamte Gesellschaft
- Schritt von internationaler Bedeutung
Die Aufnahme der Kinderrechte als Grundrecht in das Grundgesetz würde vor allem sehr viel stärker als bislang die Verantwortung von Staat und Eltern verdeutlichen, sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten gegenüber Kindern am Vorrang des Kindeswohls zu orientieren. Das gilt für Entscheidungen von Behörden – etwa bei der Planung von Wohnvierteln, beim Straßenbau oder der Ausgestaltung des Lehrplans – und ebenso für Entscheidungen der Eltern für eine bestimmte Schule oder Betreuungsform. Berücksichtigt die Behörde das Kindeswohl bei der Ermessensausübung, übersieht sie dabei aber, dass das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen und mit einer abstrakten Priorisierung ausgestattet ist, dann ist auch diese Entscheidung ermessensfehlerhaft.
Insgesamt würde der Staat stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es um die Wahrnehmung seiner Verantwortung für kindgerechte Lebensverhältnisse und um gleiche Entwicklungschancen für alle Kinder und Jugendlichen geht. Angesichts der aktuellen Debatten über eine viel zu hohe Kinderarmutsquote, unterschiedliche Bildungschancen, ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in Reich und Arm und häufige Fälle von Vernachlässigung wäre dies ein wichtiges Signal.
Wenn die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden, könnte bei Verletzung dieser Rechte eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Auch bei gerichtlichen Entscheidungen in unteren Instanzen müssten sich Gerichte an den in der Verfassung verankerten Grundrechten der Kinder orientieren – etwa bei der Abwägung des Rechtes auf Eigentum und der Grundrechte der Kinder in einem Bebauungsplanverfahren z.B. zur Errichtung einer Kindertagesstätte oder von Spielflächen für Kinder. Die Rechte der Kinder würden einklagbar – eine deutliche Stärkung der Rechtsposition von Kindern in Deutschland.
Trotz wichtiger Reformen in der Vergangenheit kommt es immer wieder zu Gefährdungen durch Vernachlässigung oder Gewalt, sei es durch Überforderung der Eltern, durch eine Täterschaft anderer Privatpersonen oder durch Defizite in öffentlichen Institutionen. Eine Verankerung des Rechtes der Kinder auf Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung im Grundgesetz würde den Kinderschutz und das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung stärken. Das Wohlergehen der Kinder ist häufig schon lange in Gefahr, bevor es zu unmittelbarer Gewalt oder extremen Formen der Vernachlässigung kommt. Hier würde eine Grundgesetzänderung Entscheidungsträger bei der Interessenabwägung im Sinne des Kindeswohls stärken.
Der UN-Ausschuss hat in seinen Empfehlungen noch einmal ausdrücklich auf die Verpflichtung nach der UNKinderrechtskonvention hingewiesen, dass die Berücksichtigung des Kindeswillens als eines von vier allgemeinen Prinzipien der Konvention umzusetzen ist. Ihre Beteiligung ist ein zentraler Wert einer demokratischen Gesellschaft. Diese Maxime sollte das Leitbild sowohl für das staatliche als auch das gesellschaftliche Handeln in ganz Deutschland sein. Bisher sind die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ein Flickenteppich und entsprechen nicht durchgängig den Standards der UN-Kinderrechtskonvention. Damit Kinder- und Jugendbeteiligung nicht willkürlich ermöglicht oder verweigert wird, muss sie im Grundgesetz Einzug finden.
Eine Änderung des Grundgesetzes würde außerdem deutlich machen, dass die im Artikel 6 verankerten Befugnisse der Eltern gegenüber ihren Kindern vor allem das Recht der Kinder auf Erziehung und Pflege sichern sollen. Eltern müssen bei der Ausübung ihres Rechtes mit abnehmender Bedürftigkeit und wachsender Einsichtsfähigkeit der Kinder deren Rechte berücksichtigen, sie als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmen und sie an allen sie betreffenden Entscheidungen beteiligen.
Dass Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten zu achten und in der Gesellschaft zu beteiligen sind, entspricht noch nicht durchgängig der allgemeinen öffentlichen Meinung, geschweige denn der täglichen Praxis in Elternhaus, Schule, öffentlichen Einrichtungen sowie Verwaltung und Politik. Schon die Diskussion um eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zeigt, wie wichtig es ist, die allgemeine Öffentlichkeit mit den Kinderrechten vertrauter zu machen. Dies würde durch eine Grundgesetzänderung noch verstärkt.
Die Verankerung der Kinderrechte im deutschen Grundgesetz hätte Signalwirkung. Zwar haben alle Staaten der Welt – mit Ausnahme der USA und Somalias – die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Dennoch mangelt es international an gesetzlicher Umsetzung. Aber es gibt Bewegung: So haben beispielsweise Spanien, Österreich oder Südafrika ihre Verfassungen dahingehend geändert, dass sie nunmehr explizit auf die Rechte der Kinder hinweisen, die Kinder nach internationalen Abkommen genießen. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union räumt ihnen in Artikel 24 diese Rechte ein.
[1] Vgl. Hintergrundpapier des Aktionsbündnis Kinderrechte, abrufbar unter http://www.kinderrechte-ins-grundgesetz.de/fileadmin/kinderrechte/Grundsatzpapier-Kinderrechte-ins-Grundgesetz-2011.pdf
[2] Zitiert nach: Peschel-Gutzeit, Dr. Lore Maria: Kinderrechte ins Deutsche Grundgesetz? Chancen und Herausforderungen – Bestandsaufnahme und offene Fragen. Vortrag bei der Tagung „Machen wir’s den Kindern Recht?! Rechtspolitische Impulse für ein kindergerechteres Deutschland“ der Friedrich-Ebert-Stiftung am 9. April 2008 in Berlin.
[3] Vgl. ebd.
[4] Lorz, Ralph Alexander: Nach der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung: Was bedeutet die uneingeschränkte Verwirklichung des Kindeswohlvorrangs nach der UN-Kinderrechtskonvention im deutschen Recht? In: National Coalition, Berlin 2010.
Mehr als 20 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland am 5. April 1992 steht die Aufnahme der Kinderrechte in das deutsche Grundgesetz noch immer aus. Bei Entscheidungen in Politik, Verwaltung und Rechtsprechung wird das Kindeswohl bis heute nicht ausreichend berücksichtigt.
Bislang werden Kinder im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zwar in Artikel 6 erwähnt. Sie sind jedoch nur „Regelungsgegenstand“ der Norm, also Objekte: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Art.6 GG, Absatz 2).
Kinder können - anders als alle anderen Grundrechtsträger - ihre Rechte an vielen Stellen nicht selbst einfordern. Ferner können sie sich weder auf eine Interessensvertretung analog dem Wehrbeauftragten noch auf ein Verbandsklagerecht wie in Umweltbelangen stützen. Die Interessen der Kinder und Jugendlichen dürfen darüber hinaus auch im Hinblick auf eine zukunftsfähige Gesellschaft nicht außer Acht gelassen werden.
Schließlich entspricht eine starke Subjektstellung von Kindern einem veränderten gesellschaftlichen Verständnis. Dieses sollte sich auch im Grundgesetz niederschlagen, das in den letzten Jahrzehnten unzählige Male an aktuelle Bedingungen angepasst wurde. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb nun ausgerechnet bei den Kindern das Argument einer schlanken Verfassung hoch gehalten wird.
Das Aktionsbündnis Kinderrechte – UNICEF Deutschland, Deutsches Kinderhilfswerk, Deutscher Kinderschutzbund in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind – tritt für die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein, um die Position der Kinder im deutschen Rechtssystem zu stärken und ein klares Signal an Staat und Gesellschaft zu senden, das Wohlergehen der Kinder als Kernaufgabe anzusehen.[1]
Das Aktionsbündnis Kinderrechte schlägt dem Deutschen Bundestag und dem Deutschen Bundesrat vor, die Rechte der Kinder in einem neu zu schaffenden Artikel 2a in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen: